9. November 1938: Reichspogromnacht in Osterholz-Scharmbeck

1938 – Synagoge in Osterholz-Scharmbeck

Osterholz-Scharmbeck beteiligte sich in der Pogromnacht vom 9. November 1938 an der von Göbbels mit der NSDAP und der SA in Gang gesetzten und zentral gelenkten Zerstörung    jüdischen Lebens und jüdischer Kultur.

Am 9.November erreichten die Anweisungen der Partei Osterholz-Scharmbeck. Die örtlichen SA-Männer wurden in der Nacht auf Donnerstag, den 10.November, in der Centralhalle, dem Restaurant Ecke Poststraße /Beckstraße versammelt. Unter dumpfen Trommelwirbel wurden nach den Fanfarenklängen, die den Abend einleiteten, die Fahnen hereingetragen.  Ein Chor von SA-Männern sprach eindringliche Worte von Größe des Kampfes und dem hohen Wert des Opfers. Weiter ging es mit den Sprechchören der SA., unterbrochen von alten und neueren Kampfliedern, bis das Treuegelöbnis an den Führer die Feierstunde beendete. Von hier aus brachen die Männer, teils in Zivil, teils in SA-Uniform auf zur Synagoge in der Bahnhofsstraße 105. Die Synagoge war nicht mehr bewohnt. Leopold Löwenstein, Vorbeter und Lehrer in der Synagoge musste wegen Ausfall der steuerkräftigen Mitglieder der Jüdischen Gemeinde seine Wohnung oberhalb der Synagoge im September 1938 räumen. Isaak ter Berg aus Ritterhude leitete den Verkauf der Synagoge kurz vor dem Pogrom ein. Thorarolle und das sonstige Inventar hatte er schon vor dem Pogrom der Synagogengemeinde in Hannover übergeben.

Für die Ereignisse vom 9. bis 11. November 1938 waren zum einen nicht nur lokale SA- und NSDAP-Anhänger verantwortlich, sondern auch Einheiten aus Bremen und Umgebung. Für die direkte Ausführung der Befehle in Osterholz-Scharmbeck und Lilienthal war der Sturmbann III/411 unter dem Bremer Ernst Röschmann zuständig und verantwortlich, für die Orte Lesum und Ritterhude der Sturm 24/411 unter Fritz Köster.  Köster war ein ehemaliger kaufmännischer Angestellter und seit 1934 als Bürgermeister in Lesum tätig. Er wird als Hintermann angesehen, weil er auch den Reservesturm 29/411 sowie den Nachrichtentrupp befehligte, durch die drei Osterholzer Juden zu Tode kamen.

SA -Männer und Parteifunktionäre in Uniform und Zivil zerschlugen die Scheiben der Synagoge, brachen die Tür auf, zertrümmerten das verbliebene Inventar und warfen es teilweise auf die Straße. Dem Feuer fiel auch der mit jüdischen Schriftzeichen versehene Eingangsspruch zum Opfer.

Die örtliche Polizei griff nicht ein.

Nach Augenzeugenberichten wurde die Fassade der Synagoge mit obszönen Darstellungen und Naziparolen beschmiert. Das zerschlagene Mobiliar wurde inmitten der Synagoge aufgetürmt und angezündet. Die Scharmbecker Feuerwehr schaute den Brandstiftern zu und sollte nur eingreifen, wenn Nachbargebäude gefährdet werden sollten. Aber die anrückende Osterholzer Feuerwehr unter Leitung des Oberbrandmeisters und Zugführer Fritz Torbohm vom Löschzug I ergriff die Initiative und gab das Kommando den Brand zu löschen.

Fritz Torbohm wurde von dem Bürgermeister Urban aufgrund dieses Einsatzes als „direkter Gegner der Partei und „politisch unzuverlässig“ seines Ehrenamtes entlassen.  Die in der Nähe wohnenden jüdische Familien, Davidsohn, Meier-Rosenhoff, Siegmund Cohen wurden aus dem Schlaf gerissen und gedemütigt. Ernst Davidsohn, der sich zur Wehr setzten wollte, nachdem man in seinem Haus alle Fensterscheiben eingeschlagen hatte, wurde mit Fußtritten attackiert und brutal zusammengeschlagen.

Am 10. November wurden Ernst Davidsohn und sein Cousin John, wie viele andere Osterholzer Jüdinnen und Juden in „Schutzhaft“ genommen und in den Amtsgerichten Lesum und Blumenthal festgehalten. Die Akten der Amtsgerichte enthalten detaillierte Angaben über die Vermögenswerte der Inhaftierten und die Höhe der Schäden durch den Pogrom.

So wurde z.B. für Hanni Cohen, die ein kleines Geschäft in der Bahnhofsstraße 34 führte das Barvermögen mit 53,27 RM und   der Wert des Warenlagers mit 500 RM angegeben.

Während die Frauen schnell wieder freigelassen wurden blieben die Männer in Lesum dem heutigen Polizeirevier, über längere Zeit inhaftiert. Auf dem Jüdischen Friedhof wurden in der Pogromnacht sämtliche Grabsteine umgeworfen.

Das kleine Manufaktur- und Modegeschäft der Familie Rosenhoff wurde unmittelbar nach der Pogromnacht geschlossen. Ein paar Tage später wurden die Töchter Ruth und Cläre unter „Polizeischutz“ aus dem Unterricht der Finndorfschule geholt. Sie besuchten danach eine jüdische Schule in Hamburg.

Am 11. November berichtete die Lokalzeitung, dass die „Volksgenossen“ angesichts der feigen jüdischen Mordtat am Diplomaten von Rath voller „Empörung“ gewesen seien und sich ihrer Empörung Luft gemacht hätten, indem sie jüdische Geschäfte und private Wohnungen und Häuser verwüsteten. Auch der Einbruch in die Synagoge wurde genannt, wobei besonders auf den Zustand („ziemlich geringe Sauberkeit“) der Räumlichkeiten und den Bänken als „willkommenes Feuerholz“ hingewiesen wurde“. Abschließend merkte der Autor an, dass niemanden ein Haar gekrümmt worden sei, soweit es nicht schon vorher krumm war.

Zu der Jüdischen  Gemeinde in Osterholz-Scharmbeck gehörten die  Familien  Wilhelm Aron  Klosterkamp/ Bördestraße, Geschwister Aron  Klosterkamp, Moritz Aron Klosterkamp, Familie Davidsohn  Poststraße und Bahnhofsstraße, Familie Heidemann Findorffstraße, Familie Meyer-Rosenhoff Bördestraße, Familie Ratusch Sandbergstraße, Familie Feist Koppelstraße, Familie Alfred Cohen Hohentorstraße/Bremer Straße/Bahnhofstraße,  Familie Sigmund Cohen  Bahnhofstraße und Lindenstraße, Familie Johanna Cohen Kirchenstraße, Leopold Löwenstein Synagoge Bahnhofstraße und Hedwig Bähr  Synagoge Bahnhofstraße.

Auf dem Gedenkstein an der Bahnhofstraße wird 23 jüdischen Opfern aus Osterholz-Scharmbeck gedacht.

Hedwig Bähr, Moritz Aron, Hanny Cohen, Alfred Cohen, Dr.Richard Cohen, Clara und Sigmund Cohen, Leopold Löwenstein, Moritz Meibergen, Anna Ratusch, Ilse Davidsohn, Ottilie Davidsohn, Ernst Davidsohn, Toni Davidsohn, Eya und Hugo Rosenhoff, Ruth Rosenhoff, Cläre Rosenhoff, Irma und Iwan Heidemann, Grete und Alfred Heidem.

Nach der Pogromnacht folgten immer neue Verfolgungsakte gegen Juden, so auch in Osterholz-Scharmbeck. Am 14.Februar 1939 um 9.00 Uhr suchte der Polizeibeamte Leimbrock auf Anweisung der Gestapo bei Jüdischen Familien nach Büchern, die auf den Listen „unerwünschtem Schrifttum“ stand. Bei Hanni Cohen fanden sie u.a.  Jeremias von Stefan Zweig, Karl und Anna von Leonhard Frank, Verdi von Franz Werfel ,Jettchen Gebert von Georg Hermann, Eros und die Evangelien von  Waldemar Bonsels, Das Herz der Erde von Walter Bauer.Ab 18.Januar 1939 legte die Stadtverwaltung die „Volkskartei“ aller Einwohner von 5-70 Jahren an. Die Karteikarten der Juden wurden mit einem „J“ versehen.

Durch das Gesetz vom 30. April 1939 „über Mietverhältnisse mit Juden“ wurde die Gemeindeverwaltung aufgefordert, die Jüdischen Familien in Judenhäusern zusammenzufassen. In Osterholz-Scharmbeck betraf es die Familie Alfred Cohen, der am 5.Oktober aus der Bremer Straße 57 zu den Davidsohn in der Bahnhofstraße 84 ziehen musste.

Es wurden judenfeindliche Filme in den „Reichsfilmstunden“ für Schüler im Atlantic und Centralkino vorgeführt. Ein ehemaliger Schüler aus Osterholz-Scharmbeck, Ernst Heinrich Meyer-Stiens berichtet über die ungeheure psychologische Wirkung dieser Filme auf die Kinder und Jugendlichen.

vgl u.a.::

Bericht von Klaus Peter Schulz 1988 im Gemeindeblatt der Scharmbecker St.Willehadi-Kirchengemeinde

Broschüre:  Jüdische Bürgerinnen und Bürger in Osterholz-Scharmbeck , Schicksale in der Zeit des Nationalsozialismus 1933-1945, von Ilse Schröder, Sonja Sancken und Horst Böttjer, Stadt Osterholz-Scharmbeck

Ein Denkmal für die Familie Cohen die in Osterholz-Scharmbeck in Niedersachsen gelebt hat. Errichtet von Klaus Beer, Verlag H.Saade

Autorin: Brigitte Stürmer

 

 

 

 

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